Dienstag, 12. Dezember 2023

Radioaktiver Zerfall und Schrödingers Katze

Der radioaktive Zerfall ist ein spontan in der Natur auftretender Vorgang, bei dem instabile Atomkerne durch Aussenden eines Teilchens oder Strahlung in stabile Atomkerne (eines anderen Elements) umgewandelt werden.

Jedes radioaktive Element hat eine spezifische Halbwertszeit, innert welcher die Hälfte einer gegebenen Anzahl Atomkerne zerfällt; diese kann je nach Element Bruchteile von Sekunden bis zu Milliarden Jahre betragen.

Nehmen wir eine bestimmte Menge eines radioaktiven Elements mit einer Halbwertszeit von sagen wir einer Stunde, wissen wir, dass nach eben einer Stunde die Hälfte der Atomkerne zerfallen sein wird. Ob aber ein einzelner Atomkern innerhalb dieser Zeit zerfällt oder nicht, ist wiederum reiner Zufall und damit nicht vorhersagbar.

Erst eine Messung legt seinen Zustand (zerfallen oder nicht zerfallen) fest, davor ist der Atomkern in Superposition, in einer Überlagerung der beiden Zustände.

Dass die Superposition, dieser Zustand des "sowohl als auch" nicht nur unsere Unkenntnis des "eigentlichen Zustands" widerspiegelt, haben wir beispielsweise beim Doppelspalt-Experiment gesehen: wären Elektronen wie Kügelchen jederzeit an einem bestimmten Ort (den wir nur nicht kennen), könnten sie niemals selbst dann ein Interfenzmuster auf dem Schirm erzeugen, wenn nur ein einzelnes Elektron aufs Mal abgefeuert wird.

Schrödingers Katze

Dieses Gedankenexperiment wurde in den Anfängen der QT von Erwin Schrödinger erdacht, um die Aussage, die Zustände seien vor der Messung in Superposition "ad absurdum" zu führen und nach Möglichkeit zu widerlegen:

Man sperre eine Katze in eine Kiste zusammen mit einer winzigen Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Laufe einer Stunde vielleicht eines der Atome zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines. Sobald eines der Atome zerfällt, setzt dies eine "Höllenmaschine" (Schrödingers Worte) in Gang: ein Hämmerchen zerschlägt einen Glaskolben mit einer giftiger Sustanz, was zum sofortigen Tod der Katze führt.

Vor einer Messung befinden sich die Atome aber in Superposition (zerfallen UND nicht zerfallen), und folglich müsste auch die Katze bis zum Öffnen der Kiste in einem Überlagerungs­zu­stand (tod UND lebendig) sein.

Das Messproblem in der Quantenphysik

Das folgende übernehme bzw. zitiere ich aus "Qualitative Quantenphysik" von Rainer Müller (Seite 37 und folgende); ich habe noch nicht die ganze Arbeit gelesen, habe aber bisher nirgends eine so klare und verständliche Behandlung des sogenannten "Messproblems" gelesen wie in diesem Abschnitt ["Zustandsreduktion" ist ein anderes Wort für "Kollaps der Wellenfunktion"]:

Man kann das Problem von Schrödingers Katze auf unsere Diskussion des Doppelspalt-Experiments […] zurückführen. Dazu nehmen wir an, dass das Relais, welches das Hämmerchen auslöst, nicht von einem radioaktiven Zerfall ausgelöst wird, sondern von einem Detektor für Elektronen. Dieser Detektor befindet sich neben dem linken Spalt des Doppelspaltexperiments.

Ein einzelnes Elektron wird durch den Doppelspalt geschickt. Wenn es durch den linken Spalt geht, wird es vom Detektor nachgewiesen, das Hämmerchen zertrümmert den Blausäure-Kolben und die Katze stirbt. Wenn das Elektron dagegen durch den rechten Spalt geht, spricht der Detektor nicht an und die Katze bleibt unversehrt.

Nun haben wir in Abschnitt 2.3.3 ("Elektronen ohne Ortseigenschaft") argumentiert, dass man Elektronen im Doppelspaltexperiment die Eigenschaft "Ort" in der Spalt­ebene gar nicht zuordnen darf. Das Elektron geht nicht "entweder links oder rechts", sondern es befindet sich in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand aus beiden Alternativen.

Diese quantenmechanische Überlagerung wird nun […] ins Makroskopische übertragen - und genau dies war die Absicht Schrödingers. Wenn man dem Elektron die Eigenschaft "links" oder "rechts" nicht zuordnen kann, ist auch das Relais, das Hämmerchen und schliesslich die Katze in einem Überlagerungszustand. Man kann der Katze die Eigenschaften "lebendig" oder "tot" nicht mehr zuordnen.

Es ist wichtig zu betonen: Wie bei den Elektronen hinter dem Doppelspalt handelt es sich in Schrödingers Gedankenexperiment beim Zustand der Katze nicht um einen Zustand, in dem man nicht weiss, ob die Katze tot oder lebendig ist, sondern sie besitzt tatsächlich diese Eigenschaften nicht.

Ähnlich wie beim Doppelspaltexperiment kann es beim Überlagerungszustand der Katze zu Interferenzerscheinungen zwischen toter und lebendiger Katze kommen. Nun ist es eine evidente Erfahrungstatsache, dass in der Wirklichkeit solche Phänomene nicht vorkommen. Schrödinger ist es also mit diesem Beispiel gelungen, nachdrücklich deutlich zu machen, dass der Übergang von der Quantenmechanik zur klassischen Mechanik nicht ohne Schwierigkeiten zu bewältigen ist.

Schrödingers Katzenparadoxon weist eine enge Verbindung zur Frage auf, wie eine quantenmechanische Messung zu beschreiben sei: Anstelle der Katze kann man allein den Elektronendetektor betrachten, der den Nachweis eines Elektrons durch das Aufleuchten einer Lampe anzeigen soll. Wie im Fall der Katze muss man im Gedankenexperiment schliessen, dass sich der Detektor nach Durchgang eines Elektrons in einem Überlagerungszustand befindet, in dem die Lampe keine der Eigenschaften "leuchtet" oder "leuchtet nicht" besitzt. Die Quantenmechanik scheint also vorherzusagen, dass sich nach einer Messung das Messgerät in einem Zustand befindet, in dem es keinen eindeutigen Wert anzeigt. Dies steht im Widerspruch zu allen Erfahrungen mit Messgeräten.

Dieses Problem, das quantenmechanische Messproblem, beschäftigt die Physiker seit mehreren Jahrzehnten. Eine endgültige Lösung hat es bislang noch nicht gefunden.

Um Übereinstimmung mit dem beobachteten Verhalten von Messgeräten zu erhalten, wurde "von Hand" der abrupte Prozess der Zustandsreduktion eingeführt: Bei einer Messung wird die Wellenfunktion nach Zufallsgesetzen aus dem Überlagerungs­zustand auf eine der Möglichkeiten ("Lampe leuchtet"/"Lampe leuchtet nicht") "reduziert".

Eine Erklärung der Zustandsreduktion, die es erlaubt, sie aus den Grundgesetzen der Quantenmechanik zu verstehen, steht jedoch noch aus.

In den letzten Jahren zeichnet sich ein wissenschaftlicher Konsens ab, wie man dem Verständnis des Schrödingerschen Katzenproblems (und damit auch dem des quantenmechanischen Messprozesses) näher kommen könnte: über die Theorie der Dekohärenz.

Die zentrale Idee dabei ist, dass man makroskopische Körper (wie die Katze) nicht isoliert betrachten kann. Sie müssen als mit der Aussenwelt wechselwirkende offene Systeme aufgefasst werden. Sie besitzen immer eine natürliche Umgebung, mit der sie auf vielfältige Weise wechselwirken. Die Katze z.B. streut Licht, gibt Wärmestrahlung ab und beeinflusst die Luftmoleküle in der Umgebung.

Schon beim Doppelspaltexperiment konnte man sehen, dass kein Interferenzmuster auftrat, wenn man jedes Elektron hinter einem der beiden Spalte durch Lichtstreuung nachwies. Dieser Verlust der Interferenzfähigkeit ist unabhängig davon, ob das gestreute Photon von einem Beobachter registriert wurde oder nicht.

Ebenso zerstört die Lichtstreuung (und auch jede andere Wechselwirkung mit der Umgebung) das Kennzeichen eines Überlagerungszustands: die Interferenzfähigkeit zwischen toter und lebendiger Katze. Durch die Wechselwirkung mit ihrer Umgebung wird die Katze "effektiv klassisch". Sie ist tot oder lebendig; Überlagerungen oder Interferenzerscheinungen können nicht nachgewiesen werden.
[Zitatende]


Es ist etwas abenteuerlich, dass in der Quantentheorie etwas so Grundlegendes wie die Vorgänge bei einer Messung im Grunde unverstanden sind, doch das kann uns auch nicht stören. Auf der Ebene der Quanten liefert die Theorie zuverlässige Voraussagen, und diese "Merkwürdigkeiten" erhöhen in meinen Augen - wohl weil ich mich nicht in einem Erklärungszwang wie die Physiker wähne - nur ihren Reiz. eigenartig


Schrödingers Katze gesucht,
tod UND lebendig

und Schrödingers Teller


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